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Das Karussell des Kaisers

  • Writer: Daniel Weiss
    Daniel Weiss
  • 5 days ago
  • 3 min read

Updated: 2 days ago


Im Zentrum des Museums in Kanazawa steht das Karussell aus der Edo-Zeit – zwölf hölzerne Pferde, geschnitzt aus Zeder, bewahrt von der Familie Tadayoshi. IMAGE: AI generated by Daniel Weiss
Im Zentrum des Museums in Kanazawa steht das Karussell aus der Edo-Zeit – zwölf hölzerne Pferde, geschnitzt aus Zeder, bewahrt von der Familie Tadayoshi. IMAGE: AI generated by Daniel Weiss

Ein Relikt aus Holz und Zeit


Zwölf Pferde, geschnitzt aus Zedernholz, tragen in vollkommener Stille Krieger, Drachen und Fabelwesen. Jedes ist anders, jedes ein Wächter einer vergangenen Epoche. Nur eines bleibt unbewegt: das Pferd des Kaisers. Seine Mähne schimmert in Blattgold, der Sattel glänzt, als hätte dort jemand gesessen. Kein Kaiser ist je geritten, doch das Holz stammt aus den Wäldern des kaiserlichen Palasts. Vielleicht genügt das, um eine Legende zu beginnen.


Entstanden in der späten Edo-Zeit, als Handwerk noch eine Form von Andacht war, wurde das Karussell nie für Vergnügen gebaut. Es war ein rituelles Objekt, ein hölzernes Mandala, das nicht der Bewegung diente, sondern dem Verstehen von Zeit.


Goldverzierter Sattel des sogenannten „Kaiserpferdes“ – das einzige Reittier des Karussells ohne Reiter. Nur einmal alle fünfzehn Jahre fällt das Licht genau auf diese Stelle. IMAGE: AI generated by Daniel Weiss
Goldverzierter Sattel des sogenannten „Kaiserpferdes“ – das einzige Reittier des Karussells ohne Reiter. Nur einmal alle fünfzehn Jahre fällt das Licht genau auf diese Stelle. IMAGE: AI generated by Daniel Weiss

Der Zyklus des Lichts


Heute steht das Karussell im Zentrum eines Museums in Kanazawa – einem Gebäude, das sich langsamer bewegt als alles andere auf der Welt. Alle fünfzehn Jahre vollzieht das Haus eine vollständige Drehung um seine eigene Achse. Niemand bemerkt es, kein Besucher, kein Wächter. Und doch verändert sich das Licht in seinem Inneren jeden Tag. Wenn der Zyklus vollendet ist, fällt für einen einzigen Moment ein Sonnenstrahl durch die kreisrunde Öffnung im Dach und trifft den goldenen Sattel des Pferdes. Das ist das Zeichen für die Familie Tadayoshi, dass die Zeit gekommen ist.


Das Ritual der Wiederkehr


Seit Jahrhunderten bauen die Tadayoshi das Karussell in regelmäßigen Abständen ab und wieder auf. Sie waschen das Holz mit Wasser aus der Quelle des Kenroku-en-Gartens, verbrennen ein Stück davon und ersetzen es durch neues Material aus demselben Wald, aus dem das Original stammt. So bleibt es alt und jung zugleich, unverändert durch ständige Erneuerung. Die Tradition folgt dem Prinzip des Shikinen Sengū, der rituellen Wiedererrichtung, die in Japan seit dem 7. Jahrhundert praktiziert wird. Es ist kein Akt der Bewahrung, sondern der Bewegung: Das Werk bleibt bestehen, weil es vergeht.


Das Museum of Cyclical Time in Kanazawa, entworfen von Architekt Yūta Tadayoshi, dreht sich einmal in fünfzehn Jahren um seine eigene Achse – ein Bauwerk, das die japanische Idee des Vergänglichen in Bewegung übersetzt. IMAGE: AI generated by Daniel Weiss
Das Museum of Cyclical Time in Kanazawa, entworfen von Architekt Yūta Tadayoshi, dreht sich einmal in fünfzehn Jahren um seine eigene Achse – ein Bauwerk, das die japanische Idee des Vergänglichen in Bewegung übersetzt. IMAGE: AI generated by Daniel Weiss

Das Haus, das Zeit atmet


Der Architekt Yūta Tadayoshi, ein Nachfahre der Familie, hat das neue Museum entworfen. Es besteht aus Sichtbeton, Zeder und oxidiertem Stahl – Materialien, die altern dürfen. Halb eingegraben in die Landschaft von Kanazawa, halb offen zum Himmel, ruht das Gebäude auf einer ringförmigen Plattform, die sich unmerklich dreht. In fünfzehn Jahren kehrt es an seinen Ausgangspunkt zurück. So wird das Haus selbst Teil des Rituals. Nicht der Mensch bewegt sich durch die Zeit, sondern die Zeit bewegt sich durch den Raum. Wenn das Licht auf den Sattel trifft, beginnt der Zyklus von vorn.


„Wir wollten ein Gebäude schaffen, das nicht fertig ist“, sagt Tadayoshi. „Etwas, das sich verändert, ohne sich zu verlieren. Wenn es sich einmal um sich selbst gedreht hat, wissen wir, dass wir nur Gäste waren.“ Seine Architektur ist kein Monument, sondern ein Prozess: ein Gleichgewicht zwischen Präzision und Stille, in dem das Unsichtbare die Hauptrolle spielt.


Das Ende, das keines ist


Wer das Museum verlässt, sieht nicht, dass es sich bewegt. Nur das Licht steht anders als beim Eintreten. Draußen spiegelt sich der Nebel von Kanazawa im Wasser, der Wind trägt den Geruch von Zeder und Regen. Und irgendwo, tief in der Stille, dreht sich ein Haus, das gebaut wurde, um Zeit zu spüren – ein Atem, der fünfzehn Jahre dauert.




DWHH – Post Dokumentarische Narrative ist ein künstlerisches Projekt von Daniel Weiss. Alle Texte und Bilder entstehen in Zusammenarbeit mit KI – als Experiment über Kreativität, Wahrnehmung und das Erzählen im digitalen Zeitalter.


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