Der Wächter der Drohnen
- Daniel Weiss

- Oct 25
- 4 min read
Updated: 3 days ago

Wenn der Himmel zu sprechen beginnt
Der Regen hatte die Nacht über nicht aufgehört. Als sich der Nebel über den Hängen von Nagano lichtet, liegt feuchte Luft über dem Wald, schwer vom Duft nach Harz und Erde. Zwischen Farnen und moosbewachsenen Steinen hockt ein älterer Mann am Rand eines Bachlaufs, den Krug in den Händen, den Blick konzentriert auf das Wasser gerichtet. Er kippt es langsam in den Strom, als wäre jede Bewegung Teil einer Choreografie, die nur er versteht. Dann ertönt ein Summen – kaum hörbar zunächst, ein zarter Ton, der sich im Unterholz bricht und die Luft erzittern lässt. Etwas löst sich vom Boden: ein Geflecht aus Bambus und Hanf, so fein geflochten, dass es fast lebendig wirkt. Langsam steigt es auf, dreht sich im Wind, bleibt schließlich schwebend in der feuchten Luft stehen.
Der Mann heißt Hideo Mori. Einst war er einer der gefeiertsten Designer Tokios, bekannt für seine klaren Linien und leisen Formen. Seine Möbel standen in Mailand, seine Räume in Paris, seine Entwürfe galten als Brücke zwischen japanischer Präzision und europäischer Eleganz. Als er vor Jahren sein Studio verkaufte und verschwand, sprach die Szene von einem Verlust. Doch Mori war nicht verschwunden – er hatte nur den Ort gewechselt. Nach dem Tsunami von 2011 zog er sich in die Berge zurück, in ein stillgelegtes Onsen, das er zum Atelier umbaute. Dort, wo früher Mineralwasser dampfte und Gespräche in den Stein hallten, arbeitet er heute allein – zwischen Bambusgestellen, Werkzeugen, Seilen und Licht, das durch den Dampf fällt wie durch Papier.

Der Rückzug
Mori sagt, er habe das Schweigen gesucht. In Tokio war alles zu laut geworden – Messen, Marken, Meetings. „Ich habe Dinge gebaut, die niemand brauchte“, sagt er leise. „Schönheit ohne Sinn ist Lärm.“ Das Onsen gab ihm die Stille zurück. Hier, wo Wasser tropft und Holz arbeitet, begann er, ein anderes Design zu denken – eines, das nicht mehr auf Aufmerksamkeit reagiert, sondern auf Natur.
Die Naturdrohnen
Die Objekte, die er heute baut, nennt er Naturdrohnen. Sie sind filigrane Konstruktionen aus Bambus, Hanfseilen, Harzen und feinen Mineralien, geflochten nach alten Mustern, die an japanische Korbflechtkunst erinnern. Keine Schrauben, keine Elektronik, kein Metall. Das Prinzip ist einfach und zugleich von stiller Eleganz: Wenn das Moos im Inneren Feuchtigkeit aufnimmt, wenn Rauchpartikel in der Luft schweben oder die Erde bebt, dehnt sich das Material, setzt eine Kette von Bewegungen in Gang, bis sich die Drohne vom Boden löst. Dreißig Minuten lang schwebt sie – dann sinkt sie zurück, zersetzt sich langsam, und nichts bleibt als ein Hauch Bambusduft im Regen.

Der Klang der Warnung
Für jede Art von Bedrohung hat Mori eigene Drohnen entworfen: wasserempfindliche Formen mit breiten Flügeln, leichte Rauchwächter aus dünnem Bambus, schwere Erddrohnen mit stabileren Gelenken. Eine allein wäre kaum wahrnehmbar. Doch wenn Hunderte zugleich aufsteigen, füllt sich der Himmel mit Bewegung. Das Summen ihrer Propeller – kaum mehr als der Wind in Bambusblättern – vervielfacht sich zu einem tiefen Brummen, das Täler erfüllt. Sichtbar wie ein Schwarm, hörbar wie ein Herzschlag. Kein Hightech, kein Kontrollsystem, sondern ein akustisches Zeichen: Die Natur spricht, und Design übersetzt.
Das hörende Design
„Ich wollte nie Maschinen bauen“, sagt Mori. „Ich wollte Zeichen bauen – Zeichen, die uns zuhören.“Er nennt seine Arbeit hörendes Design: eine Haltung, die nicht erklären will, sondern reagiert. Design als Sprache der Empathie. Die Wächterwesen sollen nicht überwachen, sondern beschützen – eine stille Allianz zwischen Handwerk, Wissenschaft und Poesie. Für Mori ist jedes geflochtene Wesen ein kleiner Vertrag mit der Erde: präzise, vergänglich, notwendig.

Vergänglichkeit
In der Dämmerung sitzt Mori oft am Rand des Beckens, sieht zu, wie der Dampf das Licht bricht. Neben ihm liegen Werkzeuge, Bambusringe, Hanfseile, getrocknete Moose. Er spricht wenig, aber wenn er es tut, leuchten seine Augen. „Bambus wächst, weil Wind und Sonne sprechen“, sagt er. „Hanf trägt die Hand. Harz schützt die Haut. Und Moos… Moos erinnert sich an jedes Tropfen Wasser.“
Für einen Moment ist es still. Dann hört man wieder dieses Summen, irgendwo zwischen Baumkronen und Nebel. Es klingt, als würde der Wald atmen.
DWHH – Post Dokumentarische Narrative ist ein künstlerisches Projekt von Daniel Weiss. Alle Texte und Bilder entstehen in Zusammenarbeit mit KI – als Experiment über Kreativität, Wahrnehmung und das Erzählen im digitalen Zeitalter.























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