Interview mit Cecilia Moriano
- Daniel Weiss

- Oct 26
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Updated: 1 day ago

Es ist früher Vormittag, die Luft riecht nach frisch gemähtem Gras und Espresso. Unten am Hang glitzert der Comer See, weiter oben, wo das Gelände ansteigt, liegt das Atelier Moriano. Früher standen hier die Hallen der alten Weberei – heute sind nur noch Fragmente geblieben. Ein paar rostige Tore, eine Pergola mit wildem Wein, und das Hauptgebäude, eine Villa aus den Siebzigern mit langen Fensterfronten und Schatten auf dem Marmorfußboden.
Cecilia Moriano empfängt barfuß, mit einer dampfenden Tasse in der Hand. Ihr Hund Bruno springt auf das Sofa, das mit dem orangefarbenen Stoff bezogen ist – jenem Stoff, den Cecilia einst im Lager ihres Vaters fand. Was damals wie ein Zufallsfund wirkte, war in Wahrheit der Beginn von allem. Heute führt Cecilia die Marke Moriano – mit leiser Stimme, aber klarer Richtung.
Wir sprechen mit ihr über Erinnerung, Wut, textile Selbstermächtigung – und die Rückkehr eines Stoffs, der zu lange vergessen war.
DW: Cecilia, wir sitzen hier in Ihrer Villa oberhalb der alten Weberei. Ein Ort voller Geschichte – wie fühlt es sich an, zurück zu sein?
CM: Es war nie mein Plan. Ich bin gegangen, um das alles hinter mir zu lassen. Und als ich zurückkam, war nichts mehr wie früher – und doch alles da. Die Geräusche. Die Gerüche. Selbst die Risse im Beton schienen mich zu erkennen. Ich glaube, der Ort hat mehr über mich gewusst, als ich über ihn.
DW: Der orangefarbene Stoff auf dem Sofa – er hat eine besondere Bedeutung, oder?
CM: Ja. Ich habe ihn in einem alten Karton gefunden, ganz hinten im Lager. Kein Etikett, nur ein paar handgeschriebene Notizen: Non scolorisce. – „Er bleicht nicht aus.“ Meine Urgroßmutter hatte ihn entwickelt. Ein leuchtendes Orange, wasserfest, lichtbeständig, aber irgendwie nie eingesetzt. Mein Vater hielt ihn für zu gewagt. Aber für mich war das kein Stoff – es war ein Zeichen.


DW: Ein Zeichen wofür?
CM: Dafür, dass etwas übersehen wurde. Dass es manchmal ganze Leben braucht, bis jemand hinsieht. Meine Urgroßmutter war klug, eigensinnig, stark – aber als Frau im Italien der 1920er war sie unsichtbar. Dieser Stoff war ihre Stimme. Ich habe sie nur laut gestellt.
DW: Sie selbst waren nie als Nachfolgerin vorgesehen…
CM: (lacht) Nein. Mein Bruder sollte das machen. Ich durfte „ein bisschen designen“ – das war die offizielle Version. Und ganz ehrlich: Ich habe das eine Zeit lang auch geglaubt. Ich bin nach Paris, Kyoto, Rom – habe Blumen gemalt, gefaltet, alles, was sich nicht gewehrt hat. Ich dachte, ich mache meins. Und dann sagte mein Bruder plötzlich: „Ich will das nicht.“ Und mein Vater sagte: „Dann musst du es machen.“ Und ich sagte: „Dann aber richtig.“
DW: Was bedeutete „richtig“ für Sie?
CM: Die alte Struktur aufbrechen. Nichts mehr mittragen, was hohl geworden war. Ich wollte das Unternehmen nicht fortführen – ich wollte es neu denken. Aber mit Respekt. Deshalb habe ich mit dem Stoff angefangen. Er war zu laut für die Männer vor mir. Aber genau richtig für eine neue Zeit.


DW: Sie haben Teile der Fabrik verkaufen müssen – wie war das für Sie?
CM: Schrecklich. Ich habe wochenlang nicht schlafen können. Aber es ging nicht anders. Wir mussten investieren, umbauen, retten, was zu retten war. Jetzt stehen dort Häuser mit Wärmepumpen und Sichtbeton. Wenn ich mit Bruno über die alte Einfahrt gehe, tut es immer noch weh. Aber ich versuche, nach vorne zu schauen.
DW: Bruno ist Ihr Hund?
CM: Ja. Und manchmal auch mein Therapeut. Er liebt diesen Ort mehr als jeder Mensch. Am liebsten liegt er auf dem Sofa – genau da, wo der Stoff seiner Urgroßmutter liegt. Und irgendwie passt das ganz gut.
DW: Was inspiriert Sie aktuell?
CM: Blumen. Papier. Falten. Ich glaube, es gibt eine Zärtlichkeit im Widerstand – etwas, das sich zeigt, wenn man etwas zwingt, Form zu werden. Meine neue Kollektion ist aus dem Garten geboren. Nicht metaphorisch – wirklich. Ich presse Blüten, färbe Stoffe, mache Dinge, die nachklingen. Und vielleicht erzähle ich damit Geschichten, die früher niemand hören wollte.
DW: Letzte Frage: Was hat sich für Sie verändert?
CM: Ich. Ich bin nicht mehr die Tochter, nicht mehr die kleine Schwester, nicht mehr das Mädchen, das hübsche Dinge zeichnet. Ich bin diejenige, die sagt: So machen wir das jetzt. Und erstaunlicherweise hören die Leute zu.
DWHH – Post Dokumentarische Narrative ist ein künstlerisches Projekt von Daniel Weiss. Alle Texte und Bilder entstehen in Zusammenarbeit mit KI – als Experiment über Kreativität, Wahrnehmung und das Erzählen im digitalen Zeitalter.





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